Die Verrätzelung in der Diagnose
...das alles immer so kompliziert sein muss...
Die breite und mehrstämmige Blutbuche am Hamburger Schanzenpark zeigt eine großflächige Schädigung: Auf der Rinde eines Teilstammes sitzen die Fruchtkörper des „Brandkrustenpilzes“.
Ein für die technischen Verfahren der Baumdiagnose immer schwieriger Fall. Zudem setzt sich der untere Stamm aus mehreren Teilstämmen zusammen. Der Pilz hinterlässt sprödes und nicht mehr tragfähiges Holz, höhlt die Stämme aber nicht wie andere Pilze aus. Deshalb werden die geschädigten Bereiche in Schalltomogrammen nicht gut repräsentiert. Das Holz ist „hart“ aber spröde wie Zwieback, auch der Schall des Messinstrumentes wird durch diese Bereiche noch durchgeleitet.
Wir haben in diesem Fall alle unsere diagnostischen Verfahren eingesetzt und hatten Glück: Selbst der geschädigte Teilstamm ist mit Einrechnung der Windlast der gesamten Krone im Zugversuch noch bruchsicher: Die Hypothese, dass der Baum noch sicher sei, ließ sich komfortabel bestätigen. Wären die Messergebnisse nicht so eindeutig, hätten wir aufgrund dieser speziellen Bedingungen (Mehrstämmigkeit, Brandkrustenpilz) größere Schwierigkeiten und könnten eine derartige Sicherheitsaussage nicht so verlässlich begründen.
Viele Bäume die wir untersuchen befinden sich statisch nahe am Versagen - weil sie einen Schaden haben und auffällig wurden - und dennoch haben sich diese "Grenzgänger" bis dato in den Stürmen halten können. Zudem sind sie gestalterisch und ökologisch sehr wertvoll und stehen in einem urbanen Bereich, da nicht ohne Grund ein großer Aufwand zur Diagnose ihrer Sicherheit betrieben wird. Wenn in diesen Fällen die diagnostischen Mittel - von der Sache her - unpräzise und diffuse Ergebnisse liefern, dann wird die Entscheidung schwer: Sie lässt sich nicht mehr in die Naturgegebenheit objektivieren; wobei dem sozialen Druck - eine Entscheidung treffen zu müssen - nicht entflohen werden kann: Wer möchte schon aus einer Nebelwolke das Urteil sprechen, einen wertvollen Stadtbaum zu fällen?